Liebe Gemeinde,
nun, da ich wieder voll drauf bin, möchte ich Euch einen Text, den ich anlässlich des 35ten Geburtstags der Tante SR verfasst habe, nicht vorenthalten. Habt Spass!
Ein offener Brief an die SR 500
Meine Liebe,
nun gibt es Dich schon 35 Jahre. Wenn Du eine Frau wärst, würde ich mich nicht mit Dir einlassen, ich mit meinen 46 Lenzen. Man hat ja schließlich seinen Stolz, und das mit den Sugardaddies war bis jetzt noch nicht mein Ding. Aber bei Dir geht das irgendwie in Ordnung. Erstens bist du keine Frau und zweitens siehst Du älter aus.
Damals, als Du auf den Markt kamst, dominierten Maschinen mit vier Zylindern und durchaus schon modernerer Optik aber fast ausnahmslos viel mehr Leistung den Markt. Dir wurden Adjektive wie klassisch, britisch und traditionell angehängt. Daraus resultierte dann bald das Bild vom Dampfhammer, vom Thumper oder Big Banger. So ein hirnverbrannter Schwachsinn.
Dein 500er Einzylinder- Viertakter ist nämlich ein echt modernes, kurzhubiges Aggregat, dessen Höchstleistung von 34 PS erst bei 6250/min anliegt. Das höchste Drehmoment drückst Du immerhin schon bei 3500/min auf die Welle. 38.000 Stück von Dir wurden während Deiner 21jährigen Produktionszeit in Schland neu verkauft. Das ist respektabel. Aber wie viele von den 38.000 Neukäufern und geschätzten 500.000, die Dich seit Deiner Geburt irgendwann mal in Ihrer Motorradlaufbahn ausprobiert haben, sind Deinem blöden Image erlegen und haben Dich untertourig pröttelnd durch die Städte, Felder und Wälder gequält, vielleicht so um die 2000/min um dann so richtig am Hahn zu drehen, wenn es Publikum gab? Und das dann womöglich noch mit der, für Deutschland auf 27 PS gewürgten Version. Dein armer Kurbeltrieb. Klar ist: Alles unter 3000/min ist Körperverletzung, genau wie auch dieses zwanghaft zu niedrig eingestellte Standgas, wo der Kolben bei jeder Umdrehung erstmal überlegen muss, ob er jetzt vorwärts oder rückwärts weiter drehen soll. Was haben sie Dir nur angetan und warum? Oder mit anderen Worten: Wer braucht ovale Pleuelaugen und zerhackte Getriebe?
Technisch einfach und robust solltest Du sein, genügsam, leicht zu warten und instand zu halten. Ich seh das anders. Wer sich nicht die Mühe gemacht hat, Dich zu verstehen und sich intensiv mit Dir auseinander zu setzen, musste zwangsläufig scheitern. Das ging schon beim Starten los: Vorsichtig treten bis es nicht mehr weiter geht, dann den obskuren kleinen Hebel links am Lenker ziehen, Maschine nach links neigen, rechts unterm Tank luschern bis das kleine helle Blech im noch kleineren Schauglas erscheint. Dann den komischen Hebel wieder loslassen, Kicker langsam zurück kommen lassen und nachdrücklich (nicht gewalttätig) durchtreten. Wer nun je nach Motortemperatur wahlweise den Choke oder den Warmstartknopf betätigt oder nicht betätigt hatte, oder so dumm war, beim Starten am Gashahn zu drehen, wurde meistens mit Stille gestraft. Dies geschah zumeist umgekehrt proportional zur Zuschauerzahl. Und oh weh, oh weh, was tun, wenn es dunkel war? Wie oft habe ich Experten gesehen, die Ihr Schauglas zu später Stunde mit dem Feuerzeug gesucht haben. Ich schätze, so manche SR ist dabei in Flammen aufgegangen und warum? Weil keiner Dich verstehen wollte. Nein, nicht einmal das Grundprinzip eines Viertakt- Verbrennungsmotors durfte ins Hirn einziehen. Wozu auch? Warst Du doch als Einfach und robust verschrien und zu irgendwas musste dieses Schauglas ja gut sein.
Die ganz Unfähigen traten Dich auch gern in den Rasten stehend auf dem heruntergeklappten Seitenständer an. Da hab ich schon einige Ständeraufnahmen repariert. Schön war's aber immer, wenn Dein Ständer bei dieser Prozedur abbrach. Was ham wir gelacht...
Es gingen Legenden um, dass Du beim Starten Deinen Besitzern die Mittelfußknochen, Schien- und Wadenbeine oder Fußgelenke zertrümmert, einige von ihnen in hohem Bogen über den Lenker in die nächste Jauchekuhle katapultiert hast und und und. Ich starte Dich seit jeher mit Gartenlatschen, Sandalen und manchmal auch mit Motorradstiefeln, wenn's kalt ist. Legenden über Legenden rankten sich um Dein Starverhalten, was schnell dazu führte, dass SR- Besitzer als verwegene, erfahrene, handwerklich begabte und rustikale Fahrensmänner galten. Und das waren sicher auch ein paar von Ihnen. Sie bewegten Dich von Eisdiele zu Eisdiele, fuhren zur Arbeit, sommers wie winters und entdeckten die Welt von Pol zu Pol. Alles war mit Dir möglich.
Dein Kaufpreis war nicht wirklich hoch, und infolge der gemächlichen Modellpflege und der daraus resultierenden hohen Verkaufszahlen warst Du bald schon in großen Stückzahlen auf dem Gebrauchtmarkt unterwegs. Dein Image wuchs weiter. Nun warst Du auch noch ein Studentenmotorrad, politisch eher links angesiedelt, würde ich sagen. Die meisten von Dir standen jedenfalls immer vor dem Fachbereich Sozialpädagogik rum. Vor Technik standen entweder richtige Brenner oder echte Banger, Du nicht. Nicht zu der Zeit.
Du wurdest weiter modellgepflegt, Deine Gussräder wurden abgeschafft, Du bekamst ein kleineres Vorderrad, endlich eine 2.15er Hinterradfelge für Deine Speichenräder, gehärtete Laufflächen für Deine Kipphebel, eine klügere Ölversorgung sowie gegen Verdrehen gesicherte Kipphebelachsen, und ich endlich meinen Motorradführerschein. Doch auch ich interessierte mich, wie alle anderen jungen Spritzer ertstmal für leistungsstarke, wenn auch alte Vierzylinder. Die Gussräder, die damals keiner so recht leiden mochte, durftest Du aber nun nicht mehr tragen oder sie Dich, wenn man's genau nimmt.
Der Zubehörmarkt wurde auf Dich aufmerksam. Wer Dich besaß, baute Dich um. Wahrlich wunderliche Teile konnte man für Dich erwerben.
Es gab Dich mit Koffern, mit doppelten Bremsscheiben vorn, mit breiten und mit schmalen Lenkern, mit Chopperlenkern, M-Lenkern und Stummellenkern. Mit vor- und zurückverlegten Fussrasten wurdest Du versehen und sehr gern mit Ochsenaugenblinkern. Im Gerickekatalog gab es ein ätzendes Plastikmonocoque zum Überziehen über Tank und Rahmen sowie die furchtbaren Protec- Nockenwellen nebst 90mm Big Bore Kolben, beides für höheren Verschleiß und kapitale Schäden wie gemacht. Und man bekam mittlerweile auch einige „Rennauspüffe“, die Dich ausnahmslos lauter aber nie schneller machten. Für die noch bessere Ölversorgung Deiner Rockerbox konnte man die Ölsteigleitung mit Doppelschmierung kaufen, was bei den alten 2J4 Modellen oftmals schon zu spät kam, hatten sich deren Kipphebelwellen doch schon tief in ihre Lagerung eingefräst. Egal, erstmal alles anbauen, und mit etwas mehr Öl im Kopp klappert's auch nicht mehr so doll.
Deine Ventileinstellschrauben waren schnell plattgehämmert. Da hat man sich dann mit denen vom Porsche beholfen, die mit den Elefantenfüsschen. Die gab es günstig beim VAG- Partner. Mittlerweile werden schöne, leichte Kugelkopf- Einstellschräubchen neben allen anderen erdenklichen Ersatz- und Zubehörteilen bei Kedo in Hamburg angeboten.
Nach einer gewissen Laufzeit war die Lagerung Deiner Antriebsdämpfung am Hinterrad hoffnungslos ausgelögelt. Was tun? Ein paar Gummilappen ausgeschnitten und unter die Ruckdämpfergummis gequetscht. Schon war alles verschlimmbessert. Das Neuteil wollte sich kaum einer leisten, und es wäre ja auch schon nach ein paar tausend Kilometern wieder ausgelutscht gewesen. Inzwischen bietet Kedo vernünftig umgebaute Kettenblatträger mit eigener Rollenlagerung an. Auch das ist schön, kostet aber etwas Geld, und das scheint für die meisten SR Fahrer tatsächlich ein Thema zu sein. Auf meine Frage, warum er denn keine SR Teile im Programm hätte, antwortete mir mal ein Yamaha-Vintage-Teilehändler: „SR Fahrer sind motorisierte Bettler!“ Stimmt, und in einem entsprechend schlechten technischen Zustand bist Du demzufolge auch häufig anzutreffen. Offensichtlich pflegt man ein „genügsames“ Motorrad nicht.
Wärst Du doch eine Frau, hättest Du sicher tausendfach die Scheidung eingereicht, mindestens aber Paartherapie gefordert.
Aber Teile anbauen ging scheinbar immer. Sogar mit Ölkühlern oder stärkeren Ölpumpen mit noch mehr Fördermenge wurden einige von Dir ausgestattet. Warum nur? Bei mir wirst Du im Hochsommer bei Stop-and-Go-Verkehr in der Rushhour grad mal 90° warm, hast also endlich Betriebstemperatur erreicht. Woher ich das weiß? Wie viele andere vor mir, habe ich Dir immer das gute und dekorative R&R Ölthermometer für den Einfüllstutzen spendiert. Dekorativ? Wieso das denn? Na, weil die meisten Deiner Besitzer Dich trotz dieses nützlichen Gimmicks offenkundig schon weit unter der 60° Grenze zu hoch drehen, wenn das Öl noch schwer klumpend durch die Leitungen und Kanäle rollt. Hauptsache Thermometer dran...
Irgendwann in den späten 80ern kamst Du dann auch in mein Leben, natürlich erst nach der obligaten XT, die eigentlich nichts besser konnte als Du, bis auf Durchzug. Das muss wohl an dem kleineren Vergaser der Enduroschwester, ihrem langen, schlanken Krümmer und ihrem etwas geringerem Gewicht liegen. Ich behelfe mir bei Dir stets mit ein bis zwei Zähnen mehr auf dem hinteren Kettenrad, dann noch die schmalere Kette der XT, und alles ist tutti. „Wie? Die XT kann nix besser? Blasphemie!“ schreit die Schwester mit dem Alutank. Ich halte sie für eine kapriziöse, deutlich überteuerte Lifestylevariante von Dir, mit gülden lackierten Zehennägeln. Wer für so einen Eimer mehr als achthundert Öcken hinblättert, ist doch selbst schuld. Das haben wir nicht nötig. Außerdem ist ihre Hinterradfelge, genau wie bei Deinen ersten Speichenrädern eigentlich viel zu schmal für einen 4.00er Reifen, und wenn man sich so umsieht, bemerkt man, dass immer nur Du nach rüdem Gebrauch aussiehst. Die Schwester ist, Enduro zum Trotz, stets gut gepflegt und sieht wohl schon seit 20 Jahren keinen Feldweg mehr.
Du bekamst von mir schöne neue Nirospeichen in Deine Laufräder sowie ein Paar Koni Dämpfer nebst besseren Gabelfedern. Investitionen, die sich auch heute noch lohnen, ist das Originalfahrwerk doch recht schwabbelig. Eine Stahlflexbremsleitung machte dann das Rasen zum Vergnügen. Auch Deine Schwingachse wurde neu gemacht. Die doofen Nadellager, halte ich nicht für der Weisheit letzten Schluss. Bronzebuchsen sind irgendwie schöner. Zuvor mussten wir auf der Fahrt zum TÜV einst tatsächlich wieder umdrehen, weil die hohle Schwingachse, die mit den Schmiernippeln, mitten durchgerissen ist. Der Vorbesitzer hatte beim Einbau wohl nicht auf ein exakt ausdistanziertes Nullspiel der Schwinge zum Rahmen geachtet und die sShwingenmutter schön fest angezogen. Das war ein Knall! Jaja, leicht instandzuhalten. Ich sach nur: Nix für Blödmänner!
Viel haben wir erlebt bis ich Dich eingetauscht habe, gegen eine Benelli Tornado. Was für ein Debakel. Ständig klingelte danach das Telefon: „Die SR is kaputt. Sie springt nicht an. Auch mein Freund schafft es nicht, und der kriegt auch 'ne Harley an.“ Immer und immer wieder hatte ich der Käuferin die Startprozedur erklärt und ihr das Lied vom Verdichtungstotpunkt gesungen. Naja, irgendwann hatte sie es dann gerafft und wurde glücklich mit Dir.
Ende der 90er warst Du dann kaputtmodellgepflegt. Du hattest einen Witzvergaser, einen Würgeauspuff und nur noch 24PS. Die Umwelt soll schuld dran gewesen sein. Wenn's hilft...
Schon kurze Zeit nach der Kastration machtest Du es wie jeder gute Hengst. Du bist einfach verstorben, jedenfalls hierzulande. Anderswo ging es als 400er Ultrakurzhuber weiter.
Bei mir gab es dann Phasen mit Dir und wieder welche ohne Dich. Immer wieder gingst Du für etwas leistungsstarkes oder auch mal für so etwas lapidares wie die nächste Monatsmiete über den Tisch aber so ca. vor zehn Jahren habe ich mich dann endlich etwas fester an Dich gebunden. dreihundert Euronen, was soll man da meckern? Es kamen weitere dazu: Drei Stück für tausend aus der einen Garage, eine für lau aus dem nächsten Schuppen, die weiteren für zwei bis fünfhundert. Keiner wollte Dich, und ich hab den Schuppen und die Regale nun voll bis zum Ende aller Tage. Ein paar von Dir sind immer zugelassen, kost ja fast nix mehr, die anderen warten auf Recycling.
Und soll ich Dir mal was sagen? Inzwischen finde ich Dich besonders mit Gussrädern so richtig scharf. Es gibt kaum eine bessere Basis für coole Umbauten. Bei mir gibt es Dich außerdem fast nur noch mit Geländereifen. Mehr braucht man nicht bei knapp 135 Knoten. Witzigerweise bin ich trotz Deiner bescheidenen Höchstgeschwindigkeit fast auf allen Strassen zu schnell unterwegs, und jedesmal, wenn ich mit einer 900er oder 1100er wasweißich liebäugle, muss ich mir nur klarmachen, dass das die Maschinen sind, die wir beide auf den Autobahnausfahrten dieser Republik wahlweise links oder rechts liegen lassen. Wer braucht die schon? Du, meine Liebe, fährst Dich leichtfüßig wie ein gutes Mountaibike im Vergleich zu diesen Fettklößen, jedenfalls, wenn man allein unterwegs ist. Zu zweit fahren macht mit Dir keinen Spass, aber wenn ich so drüber nachdenke tut es das bei keiner Maschine ohne Beiwagen.
Wirklich störend finde ich eigentlich nur die Tatsache, dass man jedesmal den ganzen Motor rausheben muss, wenn man auch nur den Zylinderkopf abnehmen möchte. Da wünsche ich mir dann doch einen Federbettrahmen. Hättest Du das nicht besser machen können?
Aber unterm Strich, liebe SR, bist Du, wenn man weiß, wie Du tickst und Dich etwas wertschätzt, wirklich genügsam. Selbst wenn ich Dich zwei Jahre mit dem Arsch nicht angeschaut habe, reicht Luftpumpen, drei mal ohne Zündung mit gezogenem Dekohebel (der obskure) und aufgerissenem Gas durchtreten, einmal mit Choke und Zündung aber ohne Gas, und da ist sie wieder, die alte Tante SR, denn eine Batterie brauchst Du für's Starten nicht. Und das begeistert mich immer wieder mehr als alles andere an Dir.
Denk jetzt aber nicht, ich würde auf meine alten Tage noch mit dem Putzen anfangen...
Dein Jörg
Schön geschrieben 
Bis näXTe Woche in HH. 
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